"Schlag den Prof!"
Warum diese Aufgabenstellung? Kurz gesagt: Ich hab' Mist gebaut – eure Kommilitonen sollten beweisen, dass es besser geht!
Wir älteren Hochschullehrer:Innen der Architektur haben ein Problem:
Wir sind in einer Zeit groß geworden worden, in denen die „Grenzen des Wachstums“1 kaum bekannt waren oder nicht wahrgenommen wurden. Unsere Architekturausbildung war vom Glauben an ein endloses Wachstum und einen damit einhergehenden sich immer weiter vergrößernden Wohlstand geprägt.
Die damalige Architekturausbildung hat sich nur in ganz wenigen Einzelfällen mit schwindenden Material-Ressourcen, den immensen Abfallbergen oder den Klimagasemissionen des Bauwesens auseinandergesetzt. Viele Instrumente zur Messung der schädlichen Umweltwirkungen waren noch nicht erfunden, z.B. Ökobilanzen, die uns heute selbstverständlich erscheinen.
Viele von den Uni-Kolleg:Innen sind aufgrund ihrer künstlerischen Eignung auf eine Professur berufen worden – nicht etwa, weil sie zum nachhaltigen Bauen geforscht oder gar promoviert hätten. Fast alle von uns haben mit ihren Bauten Baukultur geschrieben, ihre Projekte wurden prämiert und veröffentlicht, weil sie den vor 2000 Jahren von Vitruv beschrieben Dreiklang als Voraussetzung für Baukunst erfüllten: Architektur muss zweckmäßig, haltbar und schön sein. Dieser Dreiklang reicht aber schon lange nicht mehr aus: Architektur kann nur noch als zweckmäßig und schön empfunden werden, wenn sie unsere Lebensgrundlagen nicht gefährdet! Die Haltbarkeit muss im Sinne der Nachhaltigkeit umgedeutet werden in eine Erhaltbarkeit.
1995 habe ich mein erstes Haus gebaut, das „Rote Haus auf dem Hügel“, ein kleiner Verwaltungsbau, aus Porenbeton, Stahlbeton und dem damals schönsten (vermauerten) Vormauerklinker, den wir dachten, gefunden zu haben. Das Haus ist in „Schlag den Prof.“ eines von vier zu verbessernden Untersuchungsobjekten. Die Konstruktion war nicht nachhaltig. Die Aufgabenstellung lautete: Wie könnte man das heute besser machen – rückbau- und recyclingfreundlich, deutlich CO2-reduziert?
Das „Rote Haus“ wurde damals viel prämiert und u.a. im Mauerwerksatlas dokumentiert. 1997 bekam ich, u.a. für dieses Haus, den Preis für junge Künstlerinnen und Künstler des Landes NRW, 2001 – nicht nur für dieses Haus – meine erste Professur in Kaiserslautern.
Zunächst nur aus Liebe zur gesamtheitlichen Materialwirkung habe ich 2007 die www.material-bibliothek.de initiiert (zunächst als Professorin an der FH Münster und seit 2013 hier in der Bibliothek nebenan). Erst mit der damit zusammenhängenden Datensammlung wurde mir klar, dass wir welt-zerstörend bauen: Einmalige in Millionen Jahren „gewachsene“ Natursteine werden aus dem Berg gebrochen und Unikate zu WC-Wandverkleidungen und Küchenarbeitsplatten degradiert – für den einmaligen, kurzfristigen Gebrauch. Nach 10 Jahren werden sie vom nächsten mittelmäßigen Geschmack durch neue ersetzt und werden zu Abfall. Mir wurde klar, dass man auch das schöne Makassar-Holz von Mies-van-der-Rohes viel bewunderten geschwungenen Wänden oder Türen besser als Baum im Urwald lässt, weil es auf der Red-List der bedrohten Arten steht.
Mit dieser ersten Forschung hatte ich hatte vom „Apfel der Erkenntnis“– der Umweltzerstörung durch das Bauen – „gegessen“ und mich „aus dem Paradies der sorglosen Unkenntnis vertrieben“.
Ich habe Mist gebaut – wie die überwiegende Mehrheit meiner Architektur-Kolleg:Innen. (Leider tun es heute noch viele).)
Diese Aufgabenstellung ist ein Eingeständnis und die Aufforderung an mich, euch, alle, es ab jetzt und unbedingt besser zu machen.
2018 erschien der Atlas Recycling. Die Idee, dass Architektur etwas mit Recycling zu tun haben könnte, wurde zunächst vom Verlag belächelt: Wir mussten viel Geld mitbringen, um dieses Pionierwerk des Kreislauffähigen Bauens realisieren zu können. Jetzt sind wir angefragt, einen Folgeatlas zu schreiben: die alten Autorinnen (zwei davon lehren heute selbst als Professorinnen für Nachhaltiges Bauen) mit dem jungen Team der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen hier in Wuppertal. Wir freuen uns darauf: Zirkuläres Bauen muss das „neue Normal“ werden!
Lehre und Forschung nahmen seit 2015 viel Zeit ein und ich musste die Mitarbeit in unserem Architekturbüro aufgeben. Ich werde vermutlich nicht mehr viel bauen; und so freue ich mich sehr über alle an Nachhaltigkeit interessierten Studierenden unter euch!
Seit der Geburt vieler eurer Lehrer hat sich Weltbevölkerung ver-zweieinhalbfacht.2 Es wird eng auf diesem kleinen, verletzlichen Raumschiff Erde, unserem einzigen Lebensraum: jeder CO2-Abdruck zählt, jeder Umgang mit Ressourcen will gut bedacht sein. Uns bleibt keine Zeit mehr für das sorglose „weiter so“.
Die Ergebnisse eurer Kommilitonen beweisen, dass man eine gute Zukunft bauen kann und dass es Freude macht! (Sonst hätten sie nicht soviel zreit investiert diese 1:1 Mock-ups zu bauen ;-). Die Schönheit und Zweckmäßigkeit meiner alten Entwürfe haben unter der Transformation nicht gelitten:
Ich danke euch!
In einem begrenzten System wie der Erde kann es kein dauerhaftes Wachstum geben, nur einen dauerhaften Wandel nach dem Vorbild der Natur. Wandeln wir uns!
Annette Hillebrandt
Lehrstuhl Baukonstruktion | Entwurf | Materialkunde
September 2025
1 Meadows, D.: Die Grenzen des Wachstums – Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, dva informativ, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1972
2 Worlddometer (2025): „Weltbevölkerung nach Jahr“, URL: www.worldometers.info/de/weltbevoelkerung/weltbevoelkerung-pro-jahr/, letzter Zugriff: 18.9.2025

Kinderhaus, bearbeitet von Lena Königbauer, Laura Möller und Noah Sattler

Studentisches Wohnen am Landrain, bearbeitet von Edzhe Ayyaldaz, Jenny Mrosek und Mona Weish

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Metallwerkstück, bearbeitet von Viktoria Berger und Lukas Dauenheimer

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Das rote Haus auf dem Hügel, bearbeitet von Mariem El Amir und Sven Walther

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Villa Köln, bearbeitet von Jana Esselbrügge und Lucie Veermann
zuletzt bearbeitet am: 13.10.2025